Was ist ein agiles Mindset?
Im agilen Kontext wird oft vom agilen Mindset gesprochen: Die Einstellung, die innere Haltung muss stimmen. Das Mindset ist eine Geisteshaltung, die das Verhalten bestimmt. Nur, was heißt das genau? Wie kommt Agilität in den Kopf, ins Herz oder in die Unternehmenskultur? Was hat ein agiles Mindset mit Werten zu tun? Und wieso bestimmt das Mindset unser Verhalten? Viele Fragen – gute Antworten.
1. Was prägt eine agile Denkweise und wie kommt sie in den Kopf, in den Arbeitsalltag oder gar ins Herz?
Jürgen Klopp bleibt in Liverpool und verzichtet auf eine Gehaltserhöhung – 2 Millionen Pfund, die seinem Team zugutekommen.1 Er weiß, dass Teamarbeit wertvoll ist und demonstriert es mit dieser Geste: Wertschätzung.
Es ist sein Mindset: Erfolg sind wir alle!
In der bestehenden Arbeitswelt ist das Mindset noch vielfach anders. Das Paradigma „Manager machen Erfolge“, hat das Denk- und Arbeitsmodell des Industriezeitalters geprägt und damit das Mindset.
Die Einstellung des Geistes. Diese Geisteshaltung oder Einstellung – das Mind-setting – ist in der vuka-Welt ins Wanken geraten. Denn die Welt ist vuka (volatil, unplanbar, komplex und ambig) und mit trägen Arbeitsstrukturen sowie Topp-down Mentalität nicht mehr kompatibel. Jedes Unternehmen spürt das. Praktisch jedes Unternehmen spürt, dass es „umdenken“ muss.
Ein „agiles Mindset“ muss her. Was ist das? Wie geht „umdenken“? Und welche Zutaten braucht es?
Jürgen Klopp liefert mit seinem Beispiel eine Steilvorlage. Nicht wegen dem Gehaltsverzicht; sein Signal demonstriert etwas, das nicht greifbar ist, sondern spürbar. Etwas, das in der alten keine und in der neuen Arbeitswelt eine extrem große Rolle spielt:
♥ Anerkennung, Teamgeist und Wertschätzung. Etwas, das sich gut anfühlt und gute Gedanken auslöst.
♥ Umdenken ist die Neuausrichtung in Denken, Fühlen und Handeln.
Agiles Mindset heißt: umdenken.
2. Was triggert umdenken?
Praktisch alles, was wir mit dem Begriff „Agilität“ verbinden, geht auf das agile Manifest zurück. Auf der Suche nach besseren Wegen Software zu entwickeln, traf sich im Jahr 2001 eine Gruppe von Softwareentwickler in den Bergen von Utah. Softwareentwicklung war schwerfällig geworden. Langwierige Planung und intensive Dokumentation wurden mehr und mehr zum Nachteil. Die Menschen, die sich in Utah trafen, hatten zuvor schon an Anpassungsstrategien gearbeitet, bspw. war Scrum in der Entwicklung. Ihre Intention: eine hohe Produktqualität bei kurzer Entwicklungszeit. Sie wussten, dass man in der Softwareentwicklung umdenken muss.
Schließlich verankerten sie vier Leitsätze – das agile Manifest2 – in denen sich die Gewichtung änderte:
- Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge,
- Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation,
- Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung,
- Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans.
Die veränderte Gewichtung ist eine Änderung im Stellen-WERT. Kein „entweder oder“, sondern ein „mehr als“ – eine klare Verschiebung der Wertigkeit.
Der Begriff agil war übrigens eine bedachte Wahl, denn die ursprüngliche Terminologie „light und light-weight“ schien den Vätern des agilen Manifests nicht repräsentativ für das, was sie zum Ausdruck bringen wollten.
→ Irgendwie nachvollziehbar: Agil ist anders als leicht.
Fazit: Der Trigger zum Mindshift ist also ein Wertewandel. Nicht explizit ein Wandel, vielmehr ändert sich die Priorisierung. Und damit die Entscheidungs- und Handlungsgrundlage.
→ So beginnt umdenken.
Für ein Manifest der neuen Arbeit könnte man den Alte-Welt-Grundsatz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ überdenken und den Regler spürbar verschieben.
→ Vertrauen und Miteinander mehr als Kontrolle.
Damit würde sich auch ein agiles Mindset entwickeln.
Was haben Werte mit dem agilen Mindset und umdenken zu tun?
3. Was sind Werte und welche Rolle spielen sie für das agile Mindset?
Als Christoph Kolumbus im Jahr 1492 in See sticht, ist die Menschheit davon überzeugt, dass man am Ende des Horizonts ins Leere stürzt. Der Glaube, die Erde sei eine Scheibe, ist gesetzt. Zwar gab es Indizien für die Kugelgestalt der Erde, aber insgesamt war es ein ketzerischer Gedanke. Christoph Kolumbus wagte etwas, das zum damaligen Zeitpunkt undenkbar war!
→ Was ist das Motiv, ein solches Wagnis einzugehen?
Das Motiv, das Menschen wie Christopher Kolumbus veranlasst, ein derartiges Wagnis einzugehen, ist nicht „vernünftiger“ Natur, sondern ein intuitiver Drang und der feste Glaube daran, dass es neue Wege und Gutes zu entdecken gibt. Pioniergeist.
Pioniergeist, ein Geist, der keine rationale Erklärung hat, nicht greifbar ist und dennoch präsent. Im Kern tragen ihn Mut, Offenheit und Vertrauen – Eigenschaften, besser: Werte, die Pionierinnen und Pioniere über Jahrhunderte hinweg begleitet und ausgezeichnet haben. Was sonst könnte Menschen bewegen, aufs offene Meer zu fahren, den „Abgrund“ vor Augen oder in die Obsession, dass ein Elektrofahrzeug auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig werden kann?
Werte sind ein Geländer, an dem man sich orientiert, wie der Psychologe Dieter Frey es beschreibt. Ein moralischer Kompass, der uns Menschen veranlasst, Entscheidungen zu treffen – bewusst und unbewusst. Werte sind unsichtbar und dennoch handlungsleitend. Ohne Werte wäre der Mensch ein wissensgesteuerter Automat.
Guckt man genauer hin, fällt sofort auf, wie eng unser Sprachgebrauch mit Werten verknüpft ist: Wertschöpfung. Wertschätzung. Manches ist wertvoll, anderes wertlos.
→ Eine Organisation ist eine Wertegemeinschaft und es gibt ein Wertesystem.
→ Wir sagen auch: „das ist es mir wert…“
→ Was ist ein agiles Mindset wert?
Das agile Mindset braucht AGILE WERTE.
4. Was sind Agile Werte und warum sind sie etwas Besonderes?
Das große Buch der Werte3 listet eine ganze Reihe agiler Werte auf. Agile Werte sind Richtwerte oder Leitplanken, die dem agilen Management zugeschrieben werden. Im Arbeitsalltag stechen drei Leitwerte hervor: Mut, Vertrauen und Offenheit. Sie sind essenziell, um ein agiles Mindset zu entwickeln.
→ Agile Werte stehen symbolisch für das Neue, den Aufbruch!
→ In der alten Arbeitswelt hatten sie keinen Stellenwert, deswegen setzen sie unmittelbar den Wertewandel in Gang bzw. verschieben die Wertigkeit.
Mut.
- Mut, das Neue zu suchen und couragiert aufzubrechen.
- Mut, ein Wagnis einzugehen und
- Mut, sicheres (gewohntes) Terrain zu verlassen.
Offenheit.
- Offenheit, das Gesetzte infrage zu stellen.
- Offenheit für das, was kommt und
- Offenheit, das Neue zu erkunden und anzunehmen.
Vertrauen.
- Vertrauen in die eigene Idee und Intuition.
- Vertrauen in sich selbst und Vertrauen in die Gemeinschaft.
- Vertrauen darauf, dass der Aufbruch richtig ist.
Diese drei Werte stellen den Umdenk-Prozess auf die Probe! Im Industriezeitalters sind Mut, Vertrauen und Offenheit nicht vorgesehen, deswegen verursachen diese drei Leitwerte den Bruch mit der (bestehenden) Routine. Dadurch wird der agile Wandel angestoßen.
→ Das ist die Keimzelle, von der eine Kausalkette ausgeht.
→ Drei Leitwerte initiieren die Neuausrichtung im Denken, Fühlen und Handeln.
Das agile Mindset: Von agilen Werten zur agilen Unternehmenskultur.
5. Agile Werte setzen das Umdenken in Gang – nur wie beeinflussen sie die Unternehmenskultur?
Werte sind die Einzelbausteine, aus denen eine Kultur besteht. KULTUR ist die Gesamtheit der Werte, die sich etabliert haben und den (Arbeits-)Alltag bestimmen. Man kann sie auch als Wertesystem bezeichnen. Nun ist all das nicht in „Stein gemeißelt“, Werte wandeln sich und mit ihnen die Kultur.
Ein Werte- und Kulturwandel findet satt, wenn etablierte Werte innerhalb einer Gesellschaft oder Wertegemeinschaft durch neue Werte ersetzt werden. Das ist, wie oben geschildert, bei den agilen Werten der Fall. Nun, es handelt sich ja nicht um einen echten „Wertetausch“, sondern die Wichtigkeit und der StellenWert verändert sich. So wie beim Agilen Manifest.
Werte- und Kulturwandel gab es schon immer in der Menschheitsgeschichte.
Die Zeit der Aufklärung 1650 bis 1800 war ein Werte- und Kulturwandel, ausgelöst vom Buchdruck. Dieser Fortschritt ermöglichte es Philosophen und Freigeister, ihre Gedanken niederzuschreiben und einem breiteren Publikum verfügbar zu machen. Auch Martin Luther hat einen Wertwandel ausgelöst.
Ursachen für einen Wertewandel sind technische Innovation (Bsp. Dampfmaschine), Verlust von gewohnten Merkmalen (Bsp. Krieg, Epidemien), Verschmelzung von Kulturen (Bsp. Wanderbewegungen) und höheres Bewusstsein (Bsp. freies Wissen, wie es das Internet ermöglicht).
→ Damit ist klar: Wir sind mittendrin statt nur dabei.
→ Neu ist, dass praktisch alle Faktoren gleichzeitig auf uns einstürzen und die epochale Geschwindigkeit. Noch NIE hat sich ein Werte- und Kulturwandel innerhalb einer Generation vollzogen.
Kein Wunder, dass wir alle das Gefühl haben, nicht mehr mitzukommen. Die wirkliche Herausforderung: Werte und Kultur sitzen tief und sie prägen uns. Man kann sie nicht einfach abstreifen wie ein Kleidungsstück. Es ist ein – teils schmerzhafter – Prozess, diese Prägung abzulegen.
→ Dennoch haben wir Glück im Unglück: Im agilen Kontext werden Zahlenwerte gegen menschliche Werte getauscht. Menschliche Skills wie Kreativität, Inspiration, Einsatzfreude, ein positives Mindset und produktive Energien werden mehr (Stellen-) Wert einnehmen als KPIs.
→ Das wiederum ist wunderbar! 😊
Was hat das agile Mindset mit Fühlen zu tun?
6. Nun wissen wir: Werte und Kultur beeinflussen unser Denken und Handeln. Sie sind da, wirken und verschieben sich – obwohl all dies weder greif- noch sichtbar ist! Spannend, oder?
Wir spüren sie. Das macht es besonders spannend. Egal, ob wir von Teamgeist oder Gemeinsinn sprechen, von Angst oder Mut, von Freude oder Trauer. Geduld, Intuition, Kreativität oder Inspiration – obwohl sie keine Materie sind, sind sie wirksam und machtvoll. Gefühle und Emotionen.
In der alten Arbeitswelt wurden Gefühle negiert. „Gefühle haben bei der Arbeit nichts zu suchen“ ist ein alter Grundsatz, der immer noch lebt. Jede*r von uns hat auf unterschiedliche Art und Weise damit Bekanntschaft gemacht im Arbeitsleben.
Der Versuch, Wirtschaft als rationales System zu verstehen, ist jedoch längst nicht mehr haltbar. Emotionen sind allgegenwärtig und mischen aktiv im (Betriebs-) Alltag mit. Mehr noch: Emotionen sind aktive Handlungstreiber. Der sogenannte Sachverstand setzt erst nach der emotionalen Bewertung ein, er ist nicht primär handlungsleitend.
→ Mit anderen Worten: Emotionen sind schneller als bewusste Gedanken.
Noch mehr: Sie sind losgelöst vom Geschlecht 😀. Muss sich der ein oder andere noch dran gewöhnen, is aber so. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse.
Für das Agile Mindset ist das von hoher Relevanz, weil Agile Werte wie ein Katalysator wirken. Ob positive Emotionen wie Mut, Vertrauen, Offenheit oder Teamgeist führen oder negative wie Angst, Frustration oder Misstrauen den Alltag bestimmen, ist eben ein Unterschied.
Gemäß Broaden-Built-Effekt4 (die Theorie dahinter), steigern positive Emotionen die Aufmerksamkeitsspanne (broaden), erweitern der Horizont, beleben das soziale Netzwerk, kultivieren zwischenmenschliche Beziehungen (built) und bilden ein fruchtbares Gesamtklima, in dem etwas entsteht, das man landläufig als Teamgeist bezeichnet.
→ Dass Agile Organisationen frisch, kreativ, innovativ und energetisierend sind, ist also kein Voodoo, sondern wissenschaftlich erklärbar.
→ Gute Gefühle haben Macht! Sie wirken unmittelbar auf unser Denken und Handeln ein.
→ Nun könnte man das Agile Mindset auf eine einfache Formel bringen: Aus Dienst nach Vorschrift wird Arbeitsfreude.
👑 DIE KÖNIGSDISZIPLIN: WERTE LEBEN
7. Werte muss man leben – nur was heißt das jetzt schon wieder?
Ein schönes Beispiel aus der Medizin beschreibt den Unterschied: Ein Patient, der einen Herzinfarkt erleidet, wird medizinisch behandelt. Bypässe und Medikamente helfen, die Symptomatik in den Griff zu kriegen – wenn der Patient allerdings seine Lebensdauer verlängern will, ist er gezwungen, seine Lebensweise umzustellen. Er müsste bspw. das Rauchen aufgeben, sich gesünder ernähren, mehr Bewegung, Sport und Zeit zur Entspannung planen.
Er müsste alte Gewohnheiten ablegen, die ihm etwas wert waren und durch neue Gewohnheiten ersetzen. Es gibt Menschen, denen dies gut gelingt und andere, denen es nicht gelingt. Der (Stellen-) Wert alter Gewohnheiten ist dann sehr hoch und die Veränderung bleibt ein Lippenbekenntnis.
→ So ist es mit Unternehmenswerten. Wenn sie auf Hochglanzpapier stehen, aber im Arbeitsalltag keine Relevanz haben, sind sie wertlos.
→ Werte müssen gelebt werden, dh. im Herzen und im Alltag ankommen. Darum geht es beim „Mindset“ auch: Abstrakte Begriffe mit Leben füllen.
→ Nicht die Worte zählen, sondern die Taten. Dann ist das Neue: wertvoll und es folgt die volle Wertschöpfung.
Fazit: Umdenken lohnt sich! Ein agiles Mindset lohnt sich!
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Insgesamt sechs Bausteine tragen Agile Arbeit. Sie alle entfalten Wirkung und Kräfte. Ihr Zusammenspiel zu kennen und die Erfolgsfaktoren zu nutzen, ist relevant um Agile Arbeit wirksam auf den Weg zu bringen. Du hast Fragen? Schreib mir, ruf mich an oder buch ein Brainstorming über den Terminkalender. Ich freue mich.
1 Quelle
3 Quelle: Sauer, F.H. (2019). Mein Werte Buch (1. Aufl.). Köln: Intuistik Verlag.
4 Quelle: Fredrickson, Barbara (2009). Die Macht der guten Gefühle. Frankfurt: Campus.
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